Samstag, 14. Juli 2012

Der Milliarden-Bailout durch die EZB - Die Target-2 Salden

Viel wurde über sie gesprochen, viel wurde über sie debattiert: Die Target-2 Salden.
Das Target-2-System ist das Verrechnungs- und Zahlungssystem innerhalb des Eurosystems. Einfach ausgedrückt leihen und verleihen sich die Zentralbanken der Eurozone Geld über dieses System (wobei die EZB als sogenannte Clearingstelle fungiert). Die aus dem Target-2-System entstehenden Salden sind somit Verbindlichkeiten oder Forderungen der Notenbanken gegenüber dem Eurosystem, oder einfacher: gegenüber der EZB.

Nun waren diese Salden bis Anfang 2007 recht ausgeglichen. Das änderte sich im genannten Jahr und seitdem wachsen die Salden unaufhaltsam weiter an. Stand Juni 2012 hatte die Deutsche Bundesbank Forderungen gegenüber der EZB in Höhe von 729 Mrd. Euro angehäuft. Nochmal, ausgeschrieben sind das 729.000.000.000 Euro. Das ist ca. 3 mal so viel wie die gesamten Steuereinnahmen des Bundeshaushaltes in einem Jahr. Und mehr als das gesamte Stammkapital des ESM von 700 Mrd. Euro, wobei Deutschlands Anteil "nur" bei 190 Mrd. Euro liegt.


In der Grafik sieht man gut, dass es sich bei den Salden um ein Nullsummenspiel handelt. Was der eine schuldet, kann der andere einfordern. Auch interessant ist der extreme Anstieg der spanischen und italienischen Verbindlichkeiten seit einem halben Jahr.

Bilanztechnisch stellen die Salden die Differenz von Leistungsbilanzdefiziten (Importüberschüssen) und Zahlungsbilanzüberschüssen (Kapitalimporte, mit denen die Importüberschüsse bezahlt werden) dar, dazu aber später mehr. Dass aber die ökonomische Interpretation dieser Zahlen sehr schwierig ist sieht man an der Diskussion vor allem zwischen Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, der als einer der ersten auf die Salden aufmerksam gemacht hat, und Prof. Dr. Gustav Horn, der keine großen Risiken in den mit Abstand größten Bilanzposten der Bundesbank sieht.

Sinn erklärt den Zusammenhang in einer Rede sehr bildlich: Einfach ausgedrückt verleihen Länder mit positiven Salden ihre Notenpresse an Länder mit Defiziten. Das bedeutet aber nicht, dass mehr Geld im gesamten Euroland gedruckt wird. Deutschland z.B.druckt im Verhältnis einfach weniger Geld als die Südländer, genauer gesagt werden durch die Transaktionen der Bundesbank Geld vernichtet, während es z.B. in Griechenland geschaffen wird (wobei "Gelddrucken" als Ausweitung der Zentralbankgeldmenge auf elektronischen Konten verstanden werden muss). Faktisch erhalten die Zentralbanken der Südländer Gelder von der EZB, die wiederum von der Bundesbank gewährt werden müssen.

Ist das nun ein Problem? Verlieren wir Geld bzw. Kredite durch diesen Prozess?
Was fest steht ist, dass die Bundesbank Forderungen gegenüber der EZB hält. Das heisst, wenn das Eurosystem und damit die EZB zahlungsunfähig wird, wird auch die Bundesbank ihre Forderungen zumindest teilweise abschreiben können und die Verluste müssen durch den deutschen Steuerzahler ausgeglichen werden.

Wenn sich z.B. Griechenland entscheidet aus dem Euro auszutreten, werden sie voraussichtlich die Verbindlichkeiten aus Target-2 an die EZB nicht mehr (vollkommen) begleichen, was zu einem Verlust in der EZB Bilanz führt, der von allen Mitgliedsländern zu tragen ist (Deutschland ca. 27%). Somit erhalten die Defizitländer ein zusätzliches Drohpotenzial für einen Exit aus dem Euro. Das verbessert wiederum die Verhandlungsposition dieser Länder, weil somit ein Ausstieg für die Überschussländer noch teurer würde.

Das Gleiche gilt natürlich für den Ausstieg Deutschlands. Dann hätte Deutschland 700 Mrd. Euro Forderungen (wir streiten über 2 Mrd. mehr oder weniger beim Betreuungsgeld um einmal die Dimensionen zu zeigen) gegenüber einem, naja, recht instabilen und von Abwertungen bedrohten Eurosystem. Dann würde z.B. bei einer 30%igen Abwertung des Euro gegen die neu eingeführte D-Mark der deutsche Staat mehr als 200 Mrd. Euro Verlust machen, was den Schuldenstand um ca. 10% erhöhen würde (alleine aus den Target-Salden, also ceteris paribus!).

Dieser Zusammenhang ist relativ unstrittig. Umstritten ist allerdings die Herkunft bzw. die Gründe dieser Salden. Sinn und andere, wie z.B. der ehemalige Bundesbankpräsident Schlesinger, nennen die Salden Kredite, mit denen die Südländer ihre Leistungsbilanzdefizite (Importüberschüsse) finanzieren. Im Endeffekt bekomme der deutsche Exporteur zwar sein Geld, aber dieser bekomme das Geld ausbezahlt von seiner Geschäftsbank, die wiederum von der Bundesbank das Geld bekommt. Die Bundsbank hat allerdings nur Forderungen von der EZB bekommen, die wiederum besichert sind mit südländischen Wertpapieren, die bis zu einem Rating von BBB- akzeptiert werden (kurz vor Subprime-Niveau).

In der unteren Grafik steht also in unserem Fall NZB (Nationale Zentral Bank) jeweils für die Bundesbank (rechts) und die griechische Zentralbank. Nicht-Banken sind Ex- und Importeure. Das Target-2 System ist zwischen den Notenbanken als ESZB gekennzeichnet.
Burghold und Voll (2012)

Der Geldkreislauf bleibt also bildlich gesprochen im ESZB (Target-2-System) hängen. In der Tat sind die Salden in der Höhe vergleichbar mit den Export- und Importüberschüssen des jeweiligen Landes. Exportüberschüsse schafften aber keine realen Werte, solange damit Forderungen gegen Länder erworben werden, die letztlich ihre Schulden nicht bezahlen können. Denn was auf der linken Seite als "besicherte Schuldverschreibungen" vermerkt ist (die Autoren sind anderer Meinung als Sinn&Co.), sind in der Tat gar nicht mehr so sichere Kredite an ein in der Tat bankrottes Bankensystem. 

Andere, wie Olaf Storbeck vom Handelsblatt, argumentieren dass die eingesetzte Kapitalflucht der entscheidende Faktor war. Denn vorher floss Geld in die Südländer durch Investitionen, nun wird es von den dortigen Zentralbanken geschaffen, einfach weil dort der Geldbedarf höher ist als in Deutschland. Es ist durchaus möglich, dass die Kapitalflucht viel größer war als die Differenz von Leistungsbilanzdefiziten (Importüberschüssen) und Zahlungsbilanzüberschüssen (Kapitalimporte, mit denen die Importüberschüsse bezahlt werden). Das ist z.B. der Fall, wenn Exporteure aus den Kernländern ihren Kunden aus den Südländern Kredit einräumen, aber Vermögende gleichzeitig Guthaben dort abziehen, z.B., weil sie der Bonität des Geschäftsbankensektors misstrauen.

Im Endeffekt sind das aber zwei Seiten derselben Medaille: Denn Fakt ist, dass die Target-2-Salden die Differenz von Kapital- und Leistungsbilanz ausgleichen. Anstatt die Assets, die von Privatinvestoren ausgesucht wurden (Exporteure werden z.B. nicht gezwungen Lieferkredite zu gewähren) bekommen die Deutschen nun Forderungen gegenüber der EZB, für die im Verlustfall der Steuerzahler aufkommen muss. Der deutsche Staat erwirbt also Assets, über die im Endeffekt die europäischen Politk (EZB) entscheidet und deren Besicherungen voraussichtlich noch weiter reduziert werden.

Somit besteht mittlerweile ein Großteil des Nettoauslandsvermögen der Deutschen in Forderungen der Bundesbank gegenüber dem Ausland. Meiner Meinung nach ist die Qualität dieser Forderungen zweifelhaft, da die Anforderungen an die Besicherung dieser Forderungen von der EZB während der Krise stetig zurückgeschraubt wurden und somit eine Sozialisierung der Risiken innerhalb Deutschlands und Europas stattfindet sowie eine staatliche Lenkung der Investitionsentscheidungen.

2 Kommentare:

  1. Ich habe eine Frage zur Target2 Debatte- muss dazu aber etwas ausholen..

    Vor der Krise war es doch so, dass dt.Geschäftsbanken Kredite bei der EZB aufnahmen und das Geld weiter an Länder wie z.B Griechenland verlieh. GR nutzte diese Kredite dazu um z.B. ihre Importe aus z.B. Deutschland zu bezahlen. Die Target Salden waren ausgeglichen, weil das aus D herausfliessende Geld (die Kredite) und das hereinfliessende Geld (die Bezahlung der Ex- bzw. Importe) annäherend gleich war.

    Seit der Krise geben die dt. Banken keine Kredite mehr an GR aus- wegen der drohenden Insolvenz der GR-Banken/GR Staates. Da der Bedarf an Waren in GR aber noch ähnlich hoch ist nimmt GR das benötigte Geld bei der EZB auf um ihre Warenimporte zu bezahlen. Da Geld aus GR raus aber nicht mehr rein oder umgekehrt Geld nach D rein aber nicht mehr raus fliesst entstehen die erwähnten Target Salden.

    Meine Frage lautet:
    Ist dieses Finanzierungsmodell für D nicht besser als der Vorkrisenstatus, weil Sie..

    a) immer noch (quasi) uneingeschränkt exportieren können obwohl das Geld zum bezahlen dieser Waren eigentlich nicht vorhanden ist

    und

    b) im Falle der Zahlungsunfähigkeit von GR oder den GR-Importeuren D nur mit dem EZB-Anteil von 27% für die entstehenden Verluste eintreten muss anstatt den 100% wie es zuvor war, da die Kredite vor der Krise ja direkt über die dt. BAnken abgewickelt wurde?

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  2. Hallo RonnyKoenig,

    eine sehr interessante Frage stellen Sie da. In der Tat macht es den Anschein, dass das deutsche Exportmodell so gut läuft wie lange nicht mehr. Dies ist aber ein sehr trügerischer Eindruck.

    Im Allgemeinen sollte man in der Ökonomie Investitionsentscheidungen den privatwirtschaftlichen Individuen überlassen. So war es, wie Sie schon sagten, vor der Krise der Fall, dass privates Kapital nach GR geflossen ist (GR steht hier mal für alle Länder mit negativen Target-Salden). Dass nun das deutsche Sparkapital zu einem großen Teil durch die Bundesbank nach GR geführt wird, ist natürlich gut für die deutschen Exporteure. Diese bekommen nach wie vor ihre Überweisung von der Bundesbank.

    Das Problem ist aber, falls es zu Forderungsausfällen kommen sollte, die Bundesbank und somit der deutsche Steuerzahler für die Ausfälle haftet. Vorher gab es private Investoren, die die Rendite ihrer Investition bekommen haben, aber eben auch bei einem Ausfall gehaftet haben. Leider muss der deutsche Steuerzahler heute das deutsche Exportmodell garantieren.

    Somit hätten sie zwar in a) recht, dass der Export ohne die Target Salden viel geringer wäre, aber er kommt nur zustande, weil das Sparkapital durch das ESZB nach GR gezwungen wird, anstatt in Deutschland produktiv zu sein.
    Des Weiteren gibt es keine Fälligkeit dieser Kredite, d.h. es sind sozusagen unendliche Kredite mit einer Rendite in Höhe des Geldzinssatzes - eine relativ schlechte Investition, die zudem noch hochgradig ausfallgefährdet ist.

    Und somit kommen wir auch zu Ihrem zweiten Punkt. Hier ist das Problem, dass sich durch die Möglichkeit der Target-Finanzierung die Haftungsübernahmen stark verändern. Nicht nur innerhalb von Deutschland werden die Risiken sozialisiert, sondern auch innerhalb Europas. Sie haben Recht, dass D nur zu 27% für die Verluste eintreten muss falls GR die Eurozone verlässt, allerdings ergeben sich die Verluste aus den kompletten Target-Verbindlichkeiten der griechischen Notenbank gegenüber dem Euro-System. Diese spiegeln die Kapitalflucht aus Griechenland in alle anderen Länder wieder, nicht nur nach D.
    Weil D der mit Abstand größter Exporteur nach GR (aus der Eurozone) ist, könnte daraus ein leichter Vorteil enstehen, da Länder wie Spanien, die viel weniger exportieren, auch für die Verluste im großen Umfang einstehen müssen. Allerdings vergleicht man die aktuelle Situation dabei mit einer bei der die deutschen Banken weiter Kredit gewährt hätten. Ohne Target-System jedoch wären die Risiken nicht in diese Höhe angewachsen, da private Akteure ihr Kapital schon früher abgezogen hatten.
    Am Ende muss man sich auch überlegen, welche Staaten überhaupt noch in der Lage sind die entstehenden Verluste durch einen "Grexit" zu stemmen (Griechenland würde auf jeden Fall schon mal wegfallen). Um einen solchen Schritt zu meistern müsste die EZB definitiv wieder ein Anleihe-kaufprogramm starten um eine Panik zumindest zu mildern.

    Der Sachversändigenrat hat die Situation sehr anschaulich mit der Wechselkurspolitik der Bundesbank während des Bretton-Woods Systems beschrieben, als die Bundesbank amerikanische Staatstitel kaufen musste um den Wechselkurs stabil zu halten. Leider ist die EZB auch gleichzeitig die Notenbank der Südländer, was ein Ankauf der Staatsanleihen problematisch macht.

    Mich würde interessieren, ob Sie ähnlicher Meinung sind oder eine andere Sicht der Dinge haben?

    Beste Grüße,
    Timor Hülsmann

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